Was macht dieses unscheinbare, kleine Land mitten in Europa so reizvoll?
Sind es die Personen- und Schnellzüge gestandenen Alters, deren Fenster die letzten zwanzig Jahre nicht geputzt wurden und die so laut sind, dass man es praktisch nicht hinbekommen kann, eine Station zu verschlafen, weil man von dem ohrenbetäubenden Quietschen der Bremsen aus dem Schlaf gerissen wird?
Die älteren Fahrgäste, die einem ohne Nachfrage die nächsten Stationen ansagen und erklären, was es dort zu sehen gibt, auch wenn es nur potthässliche Kühltürme von Fabrikanlagen sind?
Die unzähligen UNESCO-Welterbestätten, die erstaunlich viele kleinere und größere tschechische Städte zu bieten haben?
Oder der Fakt, dass man bei den überdimensionierten Portionen in den Gaststätten, die weniger als ein Drittel der deutschen Preise zu Buche schlagen, quasi nicht verhungern kann?
Vielleicht ist es auch die in Tschechien praktizierte Kneipenkultur, die vorsieht, dass man sich viele Abende mit Freunden zusammensetzt und ganz ungezwungen über Probleme reden kann.
Warum möchte ich immer wieder aufs Neue einfach in Prag eintauchen, obwohl ich ungelogen fast jede Woche seit September des letzten Jahres dort verweile? So viel geballte Kultur auf einem Haufen findet man selten. Und man hat immer wieder aufs Neue den Eindruck, man werde der Stadt nicht gerecht, selbst wenn man dort 20 Jahre verbringen würde. Prag wird immer größer, je länger man sich dort aufhält. Und ich sehe jedes Mal etwas Neues, das ich vorher noch nicht entdeckt hatte, selbst, wenn ich exakt den gleichen Weg gehe.
In bleibender Erinnerung werde ich die unverbesserliche Loyalität und das Talent zum Improvisieren derjenigen Menschen behalten, mit denen ich täglich arbeiten durfte.
Wenn man einmal aufgenommen und „anerkannt“ wurde, wird man von einigen so konsequent umsorgt, dass es einen schon wundern kann.
So schwer es am Anfang auch war, der tschechischen Sprache zumindest etwas Herr zu werden, so schwer ist es auch, wieder zu gehen. Gerade die liebenswürdige Mentalität der Menschen macht den Abschied sehr schwer.
Und es ist recht sicher, das ich Tschechisch als Fremdsprache an der Universität belegen werde. Sie wird zwar zurecht als schwerste slawische Sprache bezeichnet, doch das hält einen keineswegs davon ab, tiefer in sie einzutauchen, nein, es stachelt gerade dazu an.
Und das Unternehmen (sie machen individuelle Nutzfahrzeugelektronik für Kunden in vielen Ländern), welches mich schon für die nächsten 7 Jahre „unter Vertrag“ hat, liegt nur 10km von der Grenze zu meinem neuen Lieblingsland. Ich werde ab 1. September 2010 dort arbeiten und an der Technischen Universität in Dresden Informatik studieren.
Der Fakt, dass auch Dresden nur knapp 50 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt liegt, lässt stark vermuten, dass ich mich nicht das letzte Mal in diesem Land aufgehalten habe. Wie Rudolf zu sagen pflegt: „Einmal Terezín, immer Terezín.“
Der liebevoll bezeichnete „Gummiband-Effekt“ also – dieses Wort wurde übrigens von Philipp Pickering geprägt, einem meiner lieben Vorgänger, der nun auch in der Informatik-Branche gelandet ist und noch immer einwandfrei der verrückten „Terezín-Freiwilligen-Riege“ zugeordnet werden kann und mit seinem Motorrad jeden Sommer quer durch Europa tourt.
Damit ist die Stelle in Theresienstadt in jeder Hinsicht ein Sonderfall. Vergleicht man unser Arbeitspensum (meine 38 Gruppen von September bis Juni) mit anderen Freiwilligenstellen in Gedenkstätten, stellt man schnell fest, dass Theresienstadt einen besonderen Anspruch hat. Soviel wir hier auch ausgelastet waren, so intensiv wurden wir doch durch unsere Arbeit mit unserem Herzen an diese Gedenkstätte gebunden.
Wir kommen wieder. Das ist vollkommen sicher. Und sei es, um übers Wochenende mit unseren Nachfolgern zu philosophieren und ein gekühltes Getränk einzunehmen.
Ich werde dieses Land auf immer lieben.