So viel Verantwortung hatte ich noch nie

publiziert in der Sächsischen Zeitung vom Sonnabend / Sonntag, 10. / 11. Juli 2010
von Steffen Neumann

Der junge Bannewitzer Friedemann Wulff-Woesten arbeitet im Rahmen der Aktion Sühnezeichen als Freiwilliger in Tschechien.

Gleich in meiner Anfangszeit wurde ich von meiner Kollegin einmal als Praktikant vorgestellt. Danach habe ich sie korrigiert: ‚Ich bin kein Praktikant, sondern ein Freiwilliger!‘ Philipp Kirchenmaier ist einer von neun Freiwilligen, die über die Organisation Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) ein Jahr in Tschechien arbeiten. Es sind junge Menschen, kaum dem Schulalter entwachsen. Sie lernen sehr viel, aber die Bezeichnung Praktikant passt in der Tat nicht.

Eigener Arbeitsplatz

„Ich gehöre beim Collegium Bohemicum zum Stamm der festen Mitarbeiter, habe meinen Arbeitsplatz und viel Verantwortung“, zählt Kirchenmaier auf. Der 21-jährige aus Filderstadt bei Stuttgart arbeitet in der Institution, die sich in Usti nad Labem (Aussig) um das Erbe der Deutschen in Böhmen kümmert. Dieser Arbeitsinhalt hatte ihn zunächst abgeschreckt. „Von allein wäre ich hier wohl nicht gelandet, das klang mir zu sehr nach Vertriebenenverband.“ Er hatte ganz bewusst kein Wunschland angegeben, wohin er entsandt werden wollte. „Aber Tschechien hatte ich nicht auf der Rechnung“, gibt er zu. Letztendlich ließ er sich überzeugen und bereut es nicht. Die Arbeit ist vielfältiger, als der erste Eindruck erwarten ließ.

Als Assistent der Kulturmanagerin organisiert er Kulturveranstaltungen, beantragt Gelder und leitet selbständig die Serie „Schule im Kino“. Außerdem kümmert er sich um ehemalige Zwangsarbeiter und Holocaust-Überlebende. Den Menschen hilft er bei ihren täglichen Erledigungen und ist ihnen ein treuer Gesprächspartner. Seine Erfahrung bringt er in ein Projekt mit Zeitzeugen ein, das vom Collegium Bohemicum organisiert wird.

Auch Friedemann Wulff-Woesten würde nicht tauschen wollen. Der Bannewitzer arbeitet in der pädagogischen Abteilung der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Theresienstadt (Terezin) für die deutschsprachigen Gruppen. Im Gegensatz zu Philipp war dies sein Wunschziel. „Meine Tante war früher selbst bei Aktion Sühnezeichen und hat mich für Gedenkstättenarbeit begeistert. Und Geschichte war schon in der Schule eines meiner Lieblingsfächer.“

Trotzdem war der Beginn in Terezin nicht einfach. Zwar konnte er schon etwas Tschechisch. „Aber hier läuft vieles über Beziehungen, da muss man die Leute kennen“, beschreibt er die wohl größte Hürde. Dazu kommt, dass er zusammen mit seinem Kollegen aus Österreich seine Arbeit quasi selbst konzipiert. „Das ist eine große Freiheit, aber auch eine große Verantwortung und gerade am Anfang nicht leicht“, sagt Wulff-Woesten. Sehr geholfen haben ihm seine Kollegen aus der tschechischen Abteilung und sein Vorgänger, der ihn eingearbeitet hat.

Verfolgte Komponisten

„Wir machen eigentlich alles, vom ersten Kontakt der Gruppen per Telefon oder E-Mail, über deren Programm ausarbeiten bis hin zu Führungen und Workshops, aber auch Dinge wie einen Bustransfer buchen, Geld wechseln gehen, die Leute unterbringen, Essen buchen“, beschreibt er seinen Arbeitstag, der nicht selten erst spät abends endet. Der Lohn dafür ist Anerkennung. „Ich hatte bisher noch nie Verantwortung für so große Gruppen, das ist schon etwas Besonderes“, sagt der 19-jährige. Und er genießt auch sein neues Leben: Nicht mehr zu Hause bei den Eltern wohnen, sondern in einer WG.

Während Philipp noch unentschieden über seinen weiteren Werdegang ist, hat Friedemann schon konkrete Pläne. Er will an der Universität seine Tschechisch-Ausbildung fortsetzen. Sein Hauptfach Informatik ist von seiner jetzigen Tätigkeit jedoch weit entfernt.

Im Rahmen des Programms „Karriere mit Plan“ der TU Dresden und media project wird er aber zugleich bei einer Firma in Großpostwitz arbeiten und von da ist es bekanntlich nicht weit bis nach Tschechien. Doch jetzt wollen beide erst einmal etwas gemeinsam organisieren. Ein Konzert mit Stücken während der NS-Zeit verfolgter Komponisten. Philipp besorgt dafür das Geld und Friedemann kümmert sich um das Konzert, das in Theresienstadt aufgeführt wird.

Freiwilligendienst in Tschechien

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) gehört zu den bekanntesten Organisationen, die Freiwilligendienste vermitteln. Derzeit sind 180 Freiwillige in 13 Ländern aktiv. Der Freiwilligendienst dauert in der Regel ein Jahr und richtet sich vor allem an junge Menschen bis 30 Jahre.

Einsatzgebiete in Tschechien sind für 10-15 Freiwillige in Jüdischen Gemeinden, der offenen Altenarbeit mit ehemaligen Zwangsarbeitern, in Bildungsprojekten sowie in der Arbeit mit Roma, Behinderten und Flüchtlingen.

Freiwilligendienste vermitteln u.a. auch die Organisationen Renovabis, Initiative Christen für Europa, Evangelische Freiwilligendienste für junge Menschen, ICJA Freiwilligenaustausch weltweit.

Weitere Informationen:
servitus09.wordpress.com
asf-ev.de
fsj-adia.de

Berichte von Freiwilligen:
friedemann.wulff-woesten.de/terezin/
magdainolomouc.wordpress.com