Ich wurde schon einige Male gefragt, wann für mich denn die Gegenwart der NS-Geschichte wirklich spürbar geworden ist. Bei Zeitzeugengesprächen mit Überlebenden von Theresienstadt – ja. In den Filmen von Claude Lanzmann, die zu den besten Filmen über den Holocaust gehören, die je gedreht wurden – ja.
Sehr stark spürbar wurde das „Erbe“ unserer Vorfahren in Vilnius, einst als „Jerusalem des Nordens“ genannt.
Seite 6 des s.g. Jäger-Reports
Summe der Ermordeten vom 02.07.41 bis 25.11.41: 137 346 Menschen, vor allem Juden
Noch bevor auf der Wannsee-Konferenz in Berlin über die „Endlösung der Judenfrage“ entschieden wurde und man auch Detailliertes über Theresienstadt beschloss, hatten Verbände der „Einsatzgruppen“ in Litauen schon 46403 Juden, 55556 Jüdinnen und 34464 jüdische Kinder auf grausamste Weise massenweise ermordet.
Die Überlebenden dieser Massaker (ca. 34500 Juden) brauchte man als Zwangsarbeiter (z.B. in der Rüstungsindustrie).
Furchtbar betroffen stimmte mich am Ende des Reportes folgender Satz:
„Man kann sich keine Vorstellung machen, welche Freude, Dankbarkeit und Begeisterung diese unsere Massnahme jeweils bei den Freigelassenen und der Bevölkerung auslöste. Mit scharfen Worten musste man sich oft der Begeisterung erwehren, wenn Frauen, Kinder und Männer mit tränenden Augen versuchten, uns die Hände und Füsse zu küssen.“
gez. Jäger
SS-Standartenführer
Wie auch Maurice Russel (Kopf der Gruppe, der Theresienstadt vorgeführt wurde) über den Kommandanten von Auschwitz im Interview mit Claude Lanzmann sinngemäß sagt:
Es waren Leute, die stolz waren auf ihre Arbeit. „Die kommenden Generationen werden dankbar dafür sein, was die Deutschen für Europa getan haben.“
Für mich ist es sehr schwer vorstellbar, wie man zu so einer Meinung kommen kann. Fakt ist: Diese Menschen, ob am Schreibtisch oder auf dem Wachturm in Auschwitz, waren stolz auf ihre Arbeit. Unfassbar.
Auch nach einem Jahr intensivster Beschäftigung mit dem Holocaust gibt es Dinge, die sich mir nicht erschließen. Bestimmte Tatsachen hinterlassen bei mir immer noch ein großes Fragezeichen.