Gegen das Vergessen

Gegen das Vergessen

Ein besonderes Jahr steht Friedemann Wulff-Woesten bevor: im Rahmen seines Freiwilligendienstes wird er im tschechischen Theresienstadt leben.

Der Sekundenzeiger des Weckers tickt ruhig vor sich hin. Ein Studien- und Berufswahl-Band, ein leergegessener Knusperjoghurt und ein Sprachlernbuch Tschechisch liegen neben dem Wecker vor dem Bett von Friedemann Wulff-Woesten. Der 18-Jährige aus Rippien wird nach bestandenem Abitur ab nächsten Sommer für ein Jahr nicht mehr hier, sondern in Tschechien das Weckerklingeln hören: er leistet über die Organisation ASF e.V. einen Freiwilligendienst in Theresienstadt.

„Ich lehne Krieg grundsätzlich ab, deshalb kam Wehrdienst für mich nicht in Frage. Ein Freiwilligendienst reißt mich nach all den Schuljahren aus dem Alltagstrott heraus und weg von alteingesessenen Routinen – in ein anderes Land mit anderer Spache und Mentalität.“, erzählt Friedemann.

Die 1958 gegründete Aktion Sühnezeichen Friedensdienste setzt sich für Versöhnung und die Entschädigung aller NS-Verfolgten ein und nennt als grundlegende Aufgabe den Kampf gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus. „Deshalb wird es kein Jahr werden, in dem man einfach weg von zu Hause ist. Man hat die Möglichkeit, mit Zeitzeugen zu sprechen; also Informationen aus „erster Hand“ zu bekommen – so kann man sich authentisch mit unserer Geschichte und Gegenwart auseinandersetzen. Das ist sehr interessant und wichtig, da die Generation der Opfer – und der Täter – langsam ausstirbt.“, meint Friedemann.

Theresienstadt, 65 Kilometer nördlich von Prag und vor Ort Terezín genannt, diente in der Zeit von 1941-45 unter der Herrschaft der Nationalsozialisten als Durchgangs- und Auffanglager, bevor die Häftlinge in Vernichtungslager deportiert wurden. Insgesamt passierten rund 140 000 Personen Theresienstadt, von denen schon ein Viertel u.a. an Epidemien, Hunger oder Kälte starb.

Die Stadt galt als Vorzeigelager, welches z.B. als Drehort für den Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ von 1944 herausgeputzt wurde, um die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten zu verschleiern.

Im Lager entwickelte sich durch viele gefangene Künstler eine eigene Kulturszene, aus der bis heute Gedichte, Kompositionen, Zeichungen und „Spielpläne“ erhalten sind. Die Kunst war eine große Hilfe, den harten Lebensbedingungen im Lager standzuhalten und einen Lichtblick im Leben zu sehen – auch wenn diese Tatsache von den Nationalsozialisten benutzt wurde, um die Welt zu täuschen.

Friedemann wird voraussichtlich in der Gedenkstätte in Theresienstadt u.a. Besuchergruppen koordinieren: „Es ist sehr wichtig, Informationen weiterzugeben und vor allem viele Menschen zu erinnern. Ich freue mich über jeden, der sich für das früher Geschehene interessiert.“ Gespannt ist er in jedem Fall auf die Begegnung mit der Geschichte an einem solch besonderen Ort – und auch das Erkunden des Landes Tschechien, das sicher an den freien Wochenenden mit anderen Freiwilligen auf dem Programm stehen wird.

Bis zum Sommer hat er sich neben einem kurzen Ausflug nach Theresienstadt vorgenommen, noch möglichst viele neue Wörter auf tschechisch zu lernen – vielleicht mit einem weiteren Knusperjoghurt als Energiespender.

www.asf-ev.de
www.jugendbegegnung.de/terezin/

publiziert in der Sächsischen Zeitung vom Donnerstag, 16. April 2009
von Sophia Wulff-Woesten